Seit dem neuen Schuljahr besucht die 10-jährige Milena (re. im Bild) unsere Schule, die immer noch gern als Knabenrealschule betitelt wird, aber in Wirklichkeit keine mehr ist. Denn sonst hätte das Mädchen, das Deutsch, Sport und Kunst als seine Lieblingsfächer bezeichnet, nur schwerlich Zugang gefunden. 200 Jahre früher wäre für Milena der gemeinschaftliche Unterricht von Buben und Mädchen völlig undenkbar gewesen.

Im mittelalterlichen Schulwesen war für die Mädchen aus dem Bürgertum das Lyzeum die einzig mögliche Schulform. Hier standen die Fächer Handarbeit, Hauswirtschaft und Religion auf dem Lehrplan. Allen Ernstes befürchtete man bis Mitte des 20. Jahrhunderts, dass durch allzu viel Bildung weibliche Tugenden Schaden nehmen und die eigentliche Aufgabe der Frau als Hausfrau, Gattin und Mutter zu kurz kommen könnte. Die Jungen und Mädchen wurden strikt getrennt unterrichtet. Erst im Zuge koedukativer Bestrebungen konnte der nach Geschlechtern getrennte Unterricht weitestgehend überwunden werden.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es aktuell nur noch drei Jungengymnasien sowie eine Handvoll Jungenrealschulen. Mit Einführung der Koedukation wurden fast alle staatlichen Knabenschulen in gemischte Schulen umgewandelt. An unserer Schule sind die etwa 500 Jungs klar in der Überzahl, die Anzahl der Mädchen beläuft sich auf 40.
Aber das ist nichts, was Milena, Aleyna und Lilli, (unser Foto), unsere neuen Schülerinnen aus der 5 a, sonderlich beeindruckt.
Dabei ist es völlig gleichgültig, ob ein Mädchen die örtliche Mädchenrealschule wählt oder sich im Reich der Knaben niederlässt. Der mittlere Bildungsabschluss bayerischer Prägung genießt hohes Ansehen und eröffnet vielfältige Möglichkeiten der schulischen Weiterbildung und beruflichen Ausbildung.
Das gemeinsame Lernen von Jungen und Mädchen gehört zu den pädagogischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts und ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit. So haben sich die Drei nicht sonderlich schwer getan , sich in das neue Umfeld unserer Schule einzufinden. Schließlich kannten sie den gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Jungen bereits aus ihrer Grundschulzeit. Jetzt freuen sie sich auf ihre neue Schule und entdecken Tag für Tag Neues rund um den Unterricht.
Jungen und Mädchen lernen ganz unterschiedlich. Jungs verfügen im Vergleich zu Mädchen nur über eine extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne. Spätestens alle acht Minuten sollte man ihnen eine kurze Pause zum Auftanken gönnen, so die Bildungsforschung. Tut man das nicht, rausche ihre Aufmerksamkeit ganz schnell in den Keller. Mädchen dagegen könnten ihre Aufmerksamkeit deutlich länger aufrechterhalten. „Im sprachlichen Bereich hängen sie ihre männlichen Mitschüler ab, die wiederum sind in den MINT-Fächern in vielen Studien überlegen.“ Argumente wie diese werden oft von Verfechtern mono-edukativer Beschulung ins Feld geführt.
Doch das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Koedukation ist kein Qualitätsmerkmal schulischer Arbeit. Gute Schulen wollen heutzutage einen Unterricht anbieten, in dem intrinsische Formen von Motivation durch die Zurücknahme von Fremdsteuerung mittels der Lehrkraft gefördert werden. Schulkonzepte wie „Kompass“, haben längst erkannt, dass Lernen ein permanenter Entwicklungsprozess ist, der Schüler*innen zur selbstständigen Erarbeitung von Inhalten anleitet, indem sie Lernfortschritte bewerten, ihr Lernen selbst organisieren und Lernstrategien flexibel handhaben. Das alles gepaart mit einer gehörigen Portion Selbstwirksamkeit, der Gewissheit die anstehenden Aufgaben bewältigen zu können, stellen gute Lernerträge in Aussicht.
Was das Selbstvertrauen, ihre Offenheit und Aufgeschlossenheit gegenüber den Lerninhalten angeht, sind unsere drei neuen Mädels jedenfalls gut aus den Startlöchern gekommen. Gute Ausdauerwerte bringen sie, wie bereits beschrieben, von Haus aus mit. Da dürfte dem schulischen Erfolg nichts mehr im Wege stehen.

Johannes Vesper