In Deutschland machen mindestens zehn Millionen Menschen das meiste "mit links". Leicht haben sie es dabei nicht. Denn unser Alltag ist ganz eindeutig für Rechtshänder eingerichtet.
Die Knöpfe der Mikrowelle sind rechts, den Korkenzieher schraubt man rechts rein und die meisten Scheren sind für Rechtshänder konzipiert. Es ist altbekannt, dass die Welt Linkshändern oft keinen Gefallen tut.
Schreibt er zum Beispiel mit einem Füller von links nach rechts, so verschmiert er mit der Hand leicht die frische Tinte. Eine Schere lässt sich vielleicht noch mit der Linken greifen - aber dann sieht man die Schnittkante nicht mehr richtig, weil sie vom oberen Scherenblatt überdeckt wird. Viele Gegenstände gibt es zwar schon speziell für Linkshänder, aber leider sind sie meist viel teurer als jene für die so genannten "Normalen".
David, Maxi und Leonard, alle 10 Jahre alt, gehen seit Beginn des Schuljahres in die fünfte Klasse unserer Schule. Eins ist allen Drei gemeinsam. Sie agieren im Schulalltag überwiegend mit der linken Hand. Für sie ist das auch kein Problem, sondern eher eine Herausforderung. Zum Glück müssen sie sich dem Umerziehungsdruck vergangener Tage nicht mehr aussetzen.
Linkshänder galten lange als Exoten, mit allerhand Makeln behaftet, in der Außenseiterrolle zu finden, musisch begabt und außerordentlich kreativ, aber auch ungeschickt und tollpatschig.
Seit Jahrtausenden ist der Mensch davon überzeugt: Das Rechte ist gut, das Linke falsch. Das ist schon in der Bibel als „rechter Glaube“ festgeschrieben: Alles, was mit Links zu tun hat, gilt dort als böse. So wurden bis in die 1980er Jahre Kinder gezwungen, mit rechts zu schreiben, obwohl sie es lieber mit links getan hätten. Heute weiß man: Solche Umschulungen können zu Sprach- und Feinmotorik-Störungen oder auch psychischen Problemen führen.
Das linkshändige Kind lernt stark mit seiner rechten Gehirnhälfte. Das kann konkret bedeuten, dass sich der Linkshänder unter Umständen Sachverhalte wesentlich besser einprägen kann, wenn diese mit einem Bild verknüpft sind oder wenn er sich dazu innerlich selbst ein Bild machen kann.
Linkshänder gehen oftmals intuitiv an Probleme heran und können deshalb nicht immer rational, also linkshemisphärisch, erklären, wie sie zu der Lösung gekommen sind. Linkshändige Kinder fallen oft durch eine ausgeprägte soziale Wahrnehmung auf, sie merken sehr schnell, wenn ein anderes Kind ungerecht behandelt wird oder leidet.
Zu Beginn der 80er Jahre räumte die Wissenschaft endgültig mit den Spukgeschichten, Vorurteilen und Ressentiments gegen Linkshänder auf. Das „Hirngerechte Lernen“ entstand. Unter “Gehirngerechtem Lernen” versteht man heutzutage Lernmethoden, die sich für die Struktur unseres Gehirns wesentlich besser eignen als der klassische “Frontalunterricht”, der auf das Auswendiglernen und Wiederholen von Lektionen setzt. Hirnforscher:innen sprechen sogar von der „Lust am Lernen“, da jeder Erkenntniszugewinn unser Glückszentrum aktiviert, das daraufhin Dopamin ausschüttet. Kurz gesagt: Lernen macht glücklich.
Diesen Mechanismus hat die Natur nicht umsonst vorgesehen. Nur durch die als angenehm erlebte Neugier an unbekannten Informationen und ihre erfolgreiche Verarbeitung sind wir – aus evolutionärer Sicht – in der Lage, unser Überleben zu sichern und den komplexen Anforderungen der Umwelt anzupassen. Warum also kann Lernen so schwerfallen?
Jetzt bahnt sich die Neurodidaktik ihren Weg, die Lernpsychologie schafft die Grundlagen für eine neue Epoche des Unterrichts. Der Schüler mit seinen Stärken und Kompetenzen rückt immer mehr in den Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit. Resilienz und Selbstwirksamkeit prägen die Schüler-Lehrer-Beziehung. Ein Unterricht auf Augenhöhe, Kompetenzraster und Portfolios, der Kompass-Unterricht, der sich aus einem vierjährigen Modellversuch entwickelt, führt unsere Schule schließlich zur Auszeichnung „Kompass-Schule.“ Zahlreiche bayerische Realschulen nahmen an dem Schulversuch teil. Eine Zeit, die Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler unserer Schule sehr geprägt hat.
Johannes Vesper