Ein Test (leider) ohne Überraschungen

Donnerstag, erste Pause vor dem Pausenverkauf. Zwei Jungs aus der 10. Klasse kriegen sich in die Haare. Einer der Schüler hat den anderen mit dem Handy ohne Erlaubnis fotografiert. Dieser möchte, dass sein Foto gelöscht wird. Es kommt zum Streit – Eskalation: Es wird gebrüllt, geschubst, bis einer am Boden liegt, das Handy wird auf den Boden geworfen, sodass es kaputt geht. Alles nur ein Test? Ja genau – ein Test. Das können die umstehenden Schüler jedoch nicht wissen. Es könnte genauso gut ernst gewesen sein mit noch wesentlich schlimmeren Folgen.

Was ist geschehen?

Die 10.Klässler der evangelischen Religionsgruppe haben sich zum Themenbereich „Verantwortung für das eigene Leben übernehmen“ mit dem Unterthema „Zivilcourage“ befasst und sich zu der Durchführung eines Projektes entschieden. Ziel sollte es sein, zu beobachten und zu analysieren, wie die umstehenden Schüler auf einen solchen Konflikt reagieren, um anschließend die jungen Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. In verschiedenen Gruppen mit jeweils unterschiedlichen Aufgabenstellungen wurde das Thema behandelt. So mussten z.B. Logistik, Organisation wie Information der Schulleitung und allen anderen an der Schule arbeitstätigen Personengruppen genau geplant, wie auch der Konflikt als Rollenspiel ausgedacht und einstudiert werden. Eine andere Arbeitsgruppe beschäftigte sich zudem mit der Erstellung von Interviews, die im Anschluss an den Test erfolgten. Des Weiteren sollte eine Reportage zu dem Thema verfasst werden.

Wie haben die umstehenden Schüler reagiert?

Wie zu erwarten den Jahrgangsstufen gemäß. Die älteren Schüler blieben cool, vermuteten bereits einen „Fake“ dahinter oder meinten nur gelassen „jetzt hört mal auf“. Die Jüngeren hingegen wirkten tatsächlich ängstlich und schockiert. Dieser Eindruck wurde hinterher im Interview von ihnen bestätigt. Weitere Kommentare zum „Nicht-Einschreiten“ waren v.a. „wir mischen uns nicht in fremde Angelegenheiten ein“. Andere Gründe könnten sein, die Verantwortung abgeben zu wollen bzw. bei sich selbst nicht bewusst wahrzunehmen. Je mehr Leute zusammenstehen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand etwas unternimmt. Dieses Phänomen nennt man Verantwortungsdiffusion1. Oder die Menschen schätzen die Situation falsch ein, erkennen sozusagen die Gefahr nicht bzw. befürchten über zu reagieren.

Was ist überhaupt „Zivilcourage“?

Zivilcourage meinte ursprünglich „[…], mutiges Verhalten, mit dem die eigene Überzeugung ohne Rücksicht auf eventuelle Nachteile gegenüber Obrigkeiten zum Ausdruck gebracht wird“2 . Im erweiterten Sinne kann man von sozialem Mut in verschiedenen sozialen Kontexten und Öffentlichkeiten sprechen, wobei nach humanen und demokratischen Prinzipien gegen ein Unrecht gegenüber Dritter vorgegangen wird3. Das wohl bekannteste und in unseren Breitengraden schockierendste Beispiel zivilcouragierten Handelns war der Fall „Dominik Brunner“, der, als er ein paar bedrängten Jugendlichen helfen wollte, von deren Peinigern verprügelt wurde und schließlich an den Folgen eines Herzinfarktes starb. Aber soweit muss und darf es nicht kommen. Unsicherheit, Angst und Gleichgültigkeit sollten nicht unser Handeln bestimmen, wenn wir sehen, dass etwas aus dem Ruder läuft!

Was kann ich tun?

• Umstehende ansprechen und um Hilfe bitten!
• Lehrer informieren und um Hilfe bitten!
• Polizei rufen!
• NIE selbst dazwischen gehen!!!

Bevor man nichts tut, sollte man sich stets fragen: „Möchte ich auch, dass mir in dieser Situation geholfen wird?“

Eingreifen sollte in jedem Fall eine Selbstverständlichkeit sein, wenn man jemanden in Not beobachtet. Auch bietet die Bibel verschiedene Handlungsmöglichkeiten in unterschiedlichsten Notsituationen, denen man auch heute jederzeit ausgesetzt sein könnte. Man denke nur an den „barmherzigen Samariter“ oder „Jesus und die Ehebrecherin“. Schließlich lehrte Jesus als Goldene Regel zusammengefasst:

„Alles nun, was ihr wollt, da[s] euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch.“ (Mt 7,12)

In diesem Sinne wünsche ich allen zum neuen Jahr den nötigen Mut, das Selbstbewusstsein und den sozialen Geist, gegen offenkundiges Unrecht vorzugehen!
N. Alt

 

1 Vgl. Alle, Katrin, Mayerl, Jochen: „Der Bystander-Effekt in alltäglichen Hilfesituationen: Ein nicht-reaktives Feldexperiment“ (2010), In: SISS: Schriftenreihe des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart: No. 1, S.3, URL: http://www.uni-stuttgart.de/soz/institut/forschung/2010.SISS.1.pdf, abgerufen am 12.01.2017.

2 Deutscher Taschenbuch Verlag, Lexikon, Bd. 24, München, 2006, S. 294.
Vgl. Prof. Dr. Meyer, Gerd: „Zivilcourage oder sozialer Mut – Eine kurze Definition“ (o.J.), URL: http://www.uni-tuebingen.de/fileadmin/Uni_Tuebingen/Fakultaeten/SozialVerhalten/Institut_fuer_Politikwissenschaft/Dokumente/meyer/Definition_Zivilcourage.pdf, abgerufen am 12.01.2017.